
Zur Geschichte der VHS Warendorf und des "Alten Lehrerseminars"
Stand: September 2025
Gründung und Zuständigkeit
Der Zweckverband VHS Warendorf, wie er heute Bestand hat, ist zuständig für den Norden des Kreises Warendorf und insgesamt sechs Kommunen.
Er wurde am 21.08.1975 gegründet. Anlass war das neue Weiterbildungsgesetz NRW, das am 01.01.1975 in Kraft trat. Mitglieder dieses neuen VHS-Zweckverbandes waren zunächst die drei Kommunen Warendorf, Telgte und Beelen.
Jedoch war auch dieses Datum keineswegs die Geburtsstunde der organisierten Erwachsenenbildung im Kreis Warendorf. Bereits 1948 wurde eine Volkshochschule in Warendorf gegründet und in anderen Kommunen gab es sogenannte „Volksbildungswerke“, die in katholischer Trägerschaft standen, zumeist aber von einer ehrenamtlichen Leitung geführt wurden. Für die ersten Jahre zwischen 1975 und 1980 sind in den heutigen Zweckverbandskommunen einige “Beharrungstendenzen” dokumentiert und nicht jede Kommune wollte ihr Volksbildungswerk zugunsten einer VHS-Zweckverbandsmitgliedschaft aufgeben. Nach und nach traten dann aber dennoch Sassenberg (1978) und Everswinkel (1979) sowie als letzte Kommune Ostbevern (1980) dem Zweckverband bei.
Heute ist der Zweckverband VHS Warendorf für die sechs Kommunen im Norden des Kreises Warendorf und insgesamt etwas mehr als 100.000 Einwohner*innen zuständig. Damit ist die VHS Warendorf die größte der vier Volkshochschulen im Kreis Warendorf.
Heimat(en) und Umzüge
Bildungsarbeit braucht geeignete Räume.
Fanden in den ersten Jahren die Kurse der Erwachsenenbildung oft abends in den dann leeren Regelschulgebäuden statt, führte mit einer quantitativen Zunahme des Bildungsangebots und einer Stärkung der Rolle der Erwachsenenbildung kein Weg an einem eigenen VHS-Gebäude vorbei.
Am 1. Juni 1982 bekommt die VHS am Standort Warendorf ein eigenes Gebäude an der Kurzen Kesselstraße - zuvor Heimat des Gymnasiums Laurentianum, des Mariengymnasiums und der Aufbaurealschule. in dem Zuge wird auch die kleine Turnhalle dieser ehemaligen Regelschule in einen Veranstaltungssaal, den heutigen “Sophiensaal”, umgebaut.
1990 zieht Telgte als zweitgrößte Kommune im Zweckverband nach: Die VHS bekommt im Januar 1990 in Telgte mit der “Alten Baßfeldschule” ein eigenes Gebäude mit sechs Räumen, die der VHS exklusiv zur Verfügung stehen. Dieses Telgter VHS-Haus in unmittelbarer Nähe zum Bürgerhaus und der Sparkasse, der Ems und dem Rathaus wird seitdem für den Großteil des Kursangebots am Standort Telgte genutzt.
In Warendorf hingegen gab es nochmals eine räumliche Veränderung: Im Jahr 2007 zieht die VHS - damals nicht ganz freiwillig - in das denkmalgeschützte “Alte Lehrerseminar” an der Freckenhorster Straße 43 in Warendorf um. Die Parkplatzsituation verbessert sich dadurch erheblich, auch stehen der VHS nun mehr und größere Räume zur Verfügung. Jedoch ist nun in der Organisation die räumliche Distanz zum Sophiensaal, der weiterhin von der VHS für größere Veranstaltung und für die Kursangebote aus dem Programmbereich Gesundheit und Bewegung genutzt wird, zu berücksichtigen.
Die VHS-Leitungen seit 1975
Der erste hauptamtliche Leiter war ab 1975 der aus Warendorf-Milte stammende Hubert Witte. Der studierte Volksschullehrer war von 1969 bis 1973 bereits Leiter der Musikschule Warendorf gewesen und unter anderem Lehrer an der Overberg- und der Josefschule sowie an der Hauptschule “Hinter den drei Brücken”. Besonders verknüpft ist mit Hubert Witte die Entwicklung des VHS-Vokalkreises - intern auch “Witte-Chor” genannt. 1986 umfasste der Vokalkreis rund 200 Sänger*innen, bei deren öffentlichen Auftritten unter anderem die Oratorien “Elias” und “Paulus” von Mendelssohn-Bartholdy zur Aufführung gelangten. Am 31.01.1992 wurde Hubert Witte in den Ruhestand verabschiedet.
Sein Nachfolger wurde im April 1992 Dr. Hans Werner Gummersbach, der zuvor stellvertretender Leiter der VHS Ahlen gewesen war. Er setzte Schwerpunkte in der politischen Bildung - mit Aktionen und Projekten wie Erinnerungsveranstaltungen zu ausgewählten Jahrestagen und politisch-kulturellen Wochen und der Zusammenarbeit mit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen vor Ort wie etwa den allgemeinbildenden Schulen, den Kulturämtern, Buchhandlungen und Büchereien. Nach etwa fünfeinhalb Jahren im Amt wurde Dr. Hans Werner Gummersbach im Dezember 1997 verabschiedet, da er dann die Leitung der VHS Münster übernahm.
An seine Stelle trat der bis dahin als pädagogischer Mitarbeiter bei der Volkshochschule beschäftigte Lehrer für Französisch und Sport Rolf Zurbrüggen. Er übernahm 1997 die Leitung der VHS Warendorf und die Programmbereichsleitungen für die Bereiche Politik-Gesellschaft und Sprachen. Hervorzuheben sind vor allem die initiierten politisch-kulturellen Wochen, die Beteiligung der VHS an der Woche der Brüderlichkeit, die Ausstellungen im Themenfeld der historisch-politischen Bildung und der internationalen Beziehungen und die Erschließung neuer Aufgabenfelder der Volkshochschularbeit in den Kommunen vor Ort. Zu diesen zählte der Aufbau des Programmbereichs “Junge VHS”, die kulturelle Bildung sowie das Engagement der VHS als Anbieter von Integrationskursen im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und natürlich der Ausbau von Bildungsangebote zur Erweiterung der EDV- und IT-Kompetenzen im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung in Beruf und Alltag. Im Frühjahr 2024 trat Rolf Zurbrüggen, der neben seiner Rolle als Leiter der VHS Warendorf als Vertreter der Volkshochschulen in Nordrhein-Westfalen Mitglied des WDR-Rundfunkrates war und für die Wahlperiode vom 01.12.2021 bis zum Dezember 2026 zum Vorsitzenden des WDR-Rundfunkrates gewählt wurde, in den Ruhestand.
Im März 2024 übernahm Dr. Mareike Beer die Leitung der VHS Warendorf.
Das “Alte Lehrerseminar” - Heimat der VHS am Standort Warendorf seit 2007
Hinweis: Der nun folgende Text stammt von Mechtild Wolff (Heimatverein Warendorf)
Bernard Overberg – der Lehrer der Lehrer (1754 - 1826)
Vor dem “Alten Lehrerseminar” steht ein beeindruckendes Standbild von Bernard Overberg. Wer war dieser Bernard Overberg, dem so viele Denkmale gesetzt wurden? Warum wurde ihm gerade in Warendorf ein Denkmal gesetzt?
Bernard Heinrich Overberg - ja, damals schrieb man Bernard noch ohne h - wurde am 1. Mai 1754 als jüngstes von vier Kindern in dem kleinen Örtchen Voltlage bei Rheine geboren. Sein Vater Bernard Overberg (1713–77) war Tödde, d.h. er zog über Land, um das selbst gewebte Leinen und allerlei Waren zu verkaufen. Dabei kam er bis nach Holland und Belgien und sah mehr von der Welt, als viele andere Dorfbewohner und hatte immer viel zu erzählen. Auch sein Sohn Bernard Overberg sollte der Familientradition gemäß „Tödde“ werden, aber er war ein schmächtiges und oft kränkelndes Kind, das mit vier Jahren noch nicht laufen konnte. Auch in der Schule machte er kaum Fortschritte. Es ist überliefert, dass er acht ABC Bücher brauchte, ehe er lesen konnte. Dabei hatte er einen wachen Geist. Das sah auch der Pastor und sagte er zu den Eltern „Do sit wull nen Pastor drin!“, das heißt, dass er wohl ein guter Pastor werden könnte. Ein Gymnasium war aber für ein armes „Töddenkind“ nicht erreichbar, darum gab der Pfarrer ihm Unterricht, auch schon in Latein. Als Bernard 17 Jahre alt war, konnte er bei seinen Verwandten Ellerhorst in Rheine wohnen und von 1771-74 das Gymnasium der Franziskaner besuchen. Er musste sehr viel nachholen, darum stand Overberg morgens sehr früh auf. Damit er sich nicht verschlief, hängte er eine Kuhglocke an sein Fenster und bat einen Tagelöhner, morgens um 5 Uhr auf dem Weg zur Arbeit an dem Band zu ziehen. Natürlich passierte es immer mal wieder, dass seine Mitschüler ihn mitten in der Nacht aus Schabernack aus dem Schlaf läuteten.
Warum ist Overbergs Kindheit so wichtig? Sie zeigt, wie schwer es auch intelligente Kinder von Lande hatten und wie wichtig ein Förderer war. Ja, Overberg machte das Abitur und studierte Theologie und Philosophie an der Universität in Münster, die erst 1773, also ein Jahr vor seinem Studienbeginn gegründet worden war. Um sein Studium zu bezahlen unterrichtete er Kinder reicher Leute als Hauslehrer – so bekam er schon erste Erfahrung im Unterrichten von Kindern.
Nach seiner Priesterweihe trat er 1780 seine erste Kaplanstelle in Everswinkel an, einem Bauern- und Weberdorf. Hier sah er seine Hauptaufgabe darin, die Kinder und Jugendlichen zu bilden. Es sprach sich schnell herum, dass die Christenlehre gar nicht mehr so langweilig war, denn Overberg erzählte spannende Geschichten aus der Bibel. Das kam auch dem Bischof von Münster zu Ohren, der große Sorgen mit seinen Schulen hatte.
Wie aber sah es damals in den Schulen aus?
Die reichen Leute hatten für ihre Kinder einen Hauslehrer, das konnte sich das einfache Volk nicht leisten. Oft war es der Pfarrer oder ein Kloster, die eine Schulstube einrichteten. In den Bauerschaften unterrichtete oft ein Kötter in seiner Wohnstube, so hatte er einen Nebenverdienst zu seinem kärglichen Einkommen. Erst nach dem 30jährigen Krieg entstanden flächendeckend Schulen, zuerst in den Städten und nach und nach auch in den Dörfern. Im Münsterland führte der Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen um 1655 die Schulpflicht ein. Natürlich sind diese Schulen nicht mit den heutigen Schulen zu vergleichen. Von einer regelmäßigen Teilnahme am Unterricht konnte nicht die Rede sein, denn viele Eltern wollten ihre Kinder lieber zu Hause behalten – zur Mithilfe im Haushalt und auf dem Feld. Der Dorflehrer wurde von den Eltern bezahlt und wenn die Kinder im Sommer nicht in die Schule kamen, musste auch der Lehrer sein Brot bei den Bauern durch Feldarbeit verdienen.
Die meisten Schulen waren Pfarrschulen, in denen oft der Küster den Unterricht abhielt. Das Hauptziel des Unterrichts war die Vorbereitung auf die Sonntagsmesse. Deshalb standen auf dem Stundenplan oft nur die Fächer Religion, Lesen und Chorgesang. Der Unterricht in diesen Fächern war kostenlos. Wer dagegen auch noch Schreiben lernen wollte, der musste Schulgeld bezahlen. Rechenunterricht gab es nur selten. Großes Ansehen genoss das Dorfschulmeisterlein nicht. Er hatte keine pädagogische Ausbildung, und seine Sorge galt in erster Linie der Ernährung seiner eigenen Familie. Im Unterricht mit oft mehr als 100 Schülern in einem Klassenzimmer herrschte strenge Zucht und Ordnung und mit dem Stock wurde für Ruhe gesorgt.
„Wir brauchen eine Reform!“ beschloss 1782 der Fürstbischof von Münster und ernannte seinen Generalvikar Franz von Fürstenberg zum „Kultusminister“. Der war schon für die Gründung der Universität in Münster verantwortlich gewesen.
Nun brauchte Fürstenberg einen klugen Pädagogen, der eine Ausbildung der Lehrer aufbauen konnte. Da erinnerte er sich an Bernard Overberg, von dem er wusste, dass er nun als Pfarrvikar in Everswinkel die Kinder für den Unterricht begeisterte. Zu seiner Christenlehre am Sonntag kamen die Kinder des gesamten Kirchspiels. 1782 reiste der Generalvikar Freiherr Franz von Fürstenberg an einem Sonntag nach Everswinkel, um sich mit eigenen Ohren die Christenlehre anzuhören. Er mietete eine Kutsche und sagte dem Postillion, dass er erst kurz nach 2 Uhr an der Dorfkirche in Everswinkel eintreffen möchte, denn er wollte unbemerkt in die Kirche gelangen. Franz von Fürstenberg war begeistert von dem lebensnahen Unterricht des Priesters und Pädagogen Overberg. Er ernannte ihn sofort zum Beauftragten für den Aufbau der fürstbischöflichen Lehrerbildungsstätte, die „Normalschule“ genannt werden sollte.
Nun wollte Bernard Overberg erst einmal selbst mehr über Kindererziehung, Schule und fortschrittliches Lernen erfahren. Er studierte zunächst die Werke der großen Erzieher, von Sokrates und Platon über die Humanisten und die Jesuiten bis zu seinen Zeitgenossen. Er hatte das Glück, dass Fürstenberg ihn mit der Fürstin von Gallitzin bekannt machte, die ihn in ihren Freundeskreis „Familia sacra“ aufnahm, wo die klügsten Köpfe des Landes über die Probleme der Zeit diskutierten. Auf dem berühmten Bild sieht man Bernard Overberg inmitten seiner Freunde – man erkennt ihn an den für Pädagogen so typischen schräg geneigten Kopf.
Als weitere Vorbereitung bereiste Overberg die Schulen des Landes und musste feststellen, dass die im Amt befindliche Lehrerschaft dringend einer gründlichen Anleitung bedurfte. Overberg wollte die Kinder aktiv am Unterricht teilnehmen lassen, er wollte weg von der jetzt üblichen Memorierschule. Die Kinder sollten selber denken lernen.
Aber erst einmal mussten die Lehrer ausgebildet werden, dafür gründete er 1783 die „Normalschule“. In den drei Sommermonaten war sowieso kein Unterricht, denn die Kinder mussten bei der Ernte auf dem Feld helfen. Darum nahmen viele Lehrer gern das Angebot an, sich in dieser Zeit in der „Normalschule“ ausbilden zu lassen. Der Bischof zahlte für den Schulbesuch eine Unterstützung, damit die Lehrerfamilien nicht hungern mussten. Wer nach dem dreimonatigen Sommerkurs die Abschlussprüfung bestand und sich auch später den Revisionen in der eigenen Schulstube stellte, bekam nun ein festes Gehalt aus der Bistumskasse. Damit hatte der „arme Dorfschullehrer“ endlich eine finanzielle Unabhängigkeit und konnte sich auf seine Arbeit mit den Schülern konzentrieren.
Overbergs Schulungen für die Lehrer bestanden nicht nur aus theoretischen Vorlesungen. Er führte seinen Lehrern praktische Schulstunden vor und machte sie mit neuen Unterrichtsmaterialien vertraut. Jede Klasse bekam Schulbänke und ein Lehrerpult, dazu eine Wandtafel und Kreide - das alles war neu in den Schulen des Münsterlandes. Overberg verfasste Schulbücher für die Kinder und Lehranweisungen für die Lehrer. Zehn Jahre nach der Eröffnung der „Normalschule“ ließ er eine Methodik und Didaktik an die Lehrer verteilen: „Anweisungen zum zweckmäßigen Schulunterricht für Schullehrer im Hochstift Münster“. Natürlich erschien das Werk auch in plattdeutscher Sprache, das war damals noch die Umgangssprache.
Bernard Overberg verstand es, den Lehrern pädagogische Begeisterung zu vermitteln. Seine erfolgreich weitergebildeten Lehrer nannten sich stolz „Schüler Overbergs“ und waren in ihren Heimatorten angesehene Schulmeister, bald auch ehrfurchtsvoll „Magister“ genannt. Mehr als 40 Jahre wirkte Overberg als „Lehrer der Lehrer“.
1809 wurde Bernard Overberg dann zum Regens des Priesterseminars in Münster berufen. Auch hier gab es viel Reformierungsbedarf bei der Ausbildung der Theologiestudenten. Overberg wohnte direkt neben der Überwasserkirche im Priesterseminar. Er verstarb am 9. November 1826 und wurde unter großer Anteilnahme seiner Schüler und der Bevölkerung auf dem Überwasserfriedhof begraben. Seit 1904, dem Jahr seines 150. Geburtstages, ruhen seine Gebeine im Chor der Überwasserkirche zu Münster.
In seinem Werk aber lebt Overberg weiter. Künstler setzten ihm Denkmale aus Stein oder brachten sein Bildnis auf die Leinwand. Viele Schulen und pädagogische Institute, Straßen und Plätze wurden nach ihm benannt. Neben dem Overberg-Denkmal gibt es auch in Warendorf eine Overbergstraße und eine Overbergschule.
Aber was hat das alles mit Warendorf zu tun? Warum wurde Overberg gerade in Warendorf ein Denkmal gesetzt? Der Grund ist das Lehrerseminar, das allerdings nur auf Umwegen nach Warendorf kam.
Die Gründung des Lehrerseminars in Langenhorst
Vier Jahre nach Bernard Overbergs Tod wurde sein Traum verwirklicht und in Langenhorst das erste Lehrerseminar gegründet, wo die katholischen Lehrer nach seinen Regeln ausgebildet wurden. Zu Mitte des Jahrhunderts gab es genügend gut ausgebildete Lehrer, dass in Westfalen die achtjährige Schulpflicht eingeführt werden konnte. Für die begabten Kinder boten größere Städte ein Gymnasium an, allerdings nur für Jungen. Sie bekamen hier eine humanistische Ausbildung. Warendorf hatte schon seit 1329 eine Lateinschule, die 1675 zu einem Vollgymnasium, dem Gymnasium Laurentianum weiterentwickelt wurde. Für Mädchen wurde 1906 ein Lyzeum gegründet, die Marienschule.
Auf dem Land besuchten alle Kinder die Volksschule, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wenn ein begabter Junge nach dem 8. Schuljahr Lehrer werden wollte, konnte er sich um einen Ausbildungsplatz im Lehrerseminar bemühen. Vorher musste er allerdings drei Jahre lang die Präparandie besuchen. Die erste Präparandie gab es in Langenhorst, die 1916 nach Warendorf verlegt wurde. Sie stand direkt neben dem Lehrerseminar, das schon 1882 von Langenhorst nach Warendorf verlegt worden war.
1882 war das Königlich-Preußische Lehrerseminar in Warendorf nach vier-jähriger Bauzeit endlich fertig geworden und das Hauptseminar konnte von Langenhorst in das größere Warendorf verlegt werden. Das Lehrerseminar in Warendorf war mit seinem 68m langen Gebäude eine der größten und modernsten Lehrerbildungsanstalten in Preußen.
Im unteren Geschoss des Seminargebäudes befanden sich die Klassenräume, im rechten Flügel die Wirtschaftsräume und der Speisesaal. Im Mittelgeschoss waren die Studienräume der Seminaristen und die Verwaltung. Der Seminar-direktor hatte seine Wohnung im linken Flügel auf dieser Etage. Die Schlafräume der Seminaristen befanden sich im Obergeschoss. An den vielen Schornsteinen kann man sehen, dass es damals noch keine Zentralheizung gab. In jedem Raum stand allerdings ein Kohleofen, der dauernd mit Kohle versorgt werden musste.
Das Herzstück des Gebäudes war die kunstvoll gestaltete Aula mit einer hervorragenden Akustik. Die Stirnwand war ausgefüllt durch die prachtvolle Orgel, an der Generationen von Lehrern das Orgelspiel erlernten. Es war selbstverständlich, dass jeder Seminarist Klavier und Orgel spielten lernte, denn als Lehrer wurde von ihm erwartet, dass er in der Pfarrkirche die Orgel spielte und auch den örtlichen Männerchor leitete. Für den Schulunterricht brauchte er noch das Geigenspiel, denn der Schulmorgen begann immer mit einem Lied, dass der Lehrer auf der Geige begleitete. Zum großen Vergnügen der Warendorfer Bevölkerung veranstalteten die Seminaristen in der Aula regelmäßig sehr beliebte Konzerte, oft sogar mit Chor und Orchester.
Das Konzept der Lehrerausbildung war dem hochverehrten Pädagogen Bernard Overberg zu verdanken. Nun sollte Overberg mit einem Denkmal gewürdigt werden. Es wurde im Park des Königlich-Preußischen Lehrerseminars aufgestellt und 1889 mit einem wahren Volksfest eingeweiht. Die Begeisterung bei den Seminaristen und in der Bevölkerung war groß, denn sie alle hatten durch Spenden, Konzerte „zum Besten des Overberg-Denkmals“ und Hand- und Spanndienste die Errichtung des Denkmals möglich gemacht. Neben der Warendorfer Prominenz und den Bürgern nahmen noch 500 Lehrer aus ganz Westfalen an dem dreitägigen Fest zur feierlichen Enthüllung teil - die Lehrer hatten dafür sogar Sonderurlaub bekommen. Alle bewunderten die mit 2,50m überlebensgroße Sandsteinplastik, die der Bildhauer Bernhard Fleige aus Münster geschaffen hatte.
Nun stand er dort, der steinerne Overberg und blickte wohlgefällig auf das schulische Treiben herab. Auch als 1926 das Lehrerseminar aufgelöst wurde, blieb er an seinem Platz! Jetzt zogen die Gymnasiasten des Laurentianum in das Gebäude ein. Durch den Park schritten nun Direktoren und Lehrer und Oberstufen-Gymnasiasten und die jüngeren Schüler balgten um das Denkmal herum. Die Zeiten änderten sich: Vatermörder und Gehröcke gingen und Jeans und Cordhosen kamen. „Jugend kennt keine Tugend“, so war es schon damals. Der ehrwürdige Overberg wurde in jedem Jahr das Objekt von Schülerstreichen. Nach bestandenem Abitur bekam das steinerne Standbild „Verzierungen aller Art“, das konnte eine Halskette aus Tafelschwämmen oder Türklinken sein oder Farbverzierungen am Hinterteil. Zur Versöhnung brachten die Abiturienten dem steinernen Overberg dann nach der offiziellen Verabschiedung ein Ständchen. All das bedachte der altehrwürdige Overberg mit seinem gütig, gestrengen Blick.
Dann, im September 1974 wurde es plötzlich ruhig im Schulgebäude und im Park - das Laurentianum hatte ein neues, vom Architekten Prof. Dr. Harald Deilmann aus Münster in hochmoderner Betonarchitektur gestaltetes Gebäude im Schulviertel bekommen. Das Gebäude des ehemaligen Lehrerseminars hatte seine Schuldigkeit getan, nun sollte es abgerissen werden. Verdienstvolle Lehrer sorgten dafür, dass vor dem drohenden Abriss die überlebensgroße Overberg-Statue einen zentralen Platz im Gymnasium Laurentianum fand - jeder Lehrer wurde auf dem Weg zum Lehrerzimmer von ihm gegrüßt. Schnell wuchs eine neue Lehrer- und Schülergeneration heran, die gar nicht mehr wusste, wer denn da in dem Glaskasten eingesperrt war.
Was aber wurde aus dem alten Gebäude des Gymnasium Laurentianum?
Die Stadt kaufte das altehrwürdige Seminar- und Schulgebäude vom Staat und bekam die Auflage, es abzureißen. Der Abriss aber war teuer, deshalb schob die Stadt diese Maßnahme vor sich her. Wie so oft erledigte sich auch dieses Problem „durch Liegenlassen“. Der Zeitgeist änderte sich, die Betonarchitektur hielt nicht, was sie versprochen hatte und schärfte das Auge des aufmerksamen Bürgers für die Schönheit der Architektur des 19. Jahrhunderts. Das Gebäude des Laurentianum, das nun das „Alte Lehrerseminar“ genannt wurde, wurde unter Denkmalschutz gestellt und mit zahlreichen öffentlichen Sanierungsgeldern in ein Schmuckstück verwandelt. Eine Verwendung wurde schnell gefunden, die Musikschule erfüllte die Räume und Flure mit Klängen aller Art, das Bauamt richtete ein Sanierungsbüro zur Erhaltung der historischen Altstadt ein, die Volkshochschule etablierte sich in den großzügigen Räumen mit all ihren Kursen und in der historischen Aula fanden Konzerte und Vortragsveranstaltungen statt. Im Keller versorgte der ADAC zeitweise die Touristen und Gäste mit Fahrrädern.
Auch der Park wurde wieder in seinen historischen Zustand versetzt. In seiner Mitte allerdings lag einsam ein Hügel. Das Herzstück des Parks fehlte, das Overberg-Denkmal. Der Heimatverein mit seinem engagierten Vorsitzenden Rainer A. Krewerth plädierte dafür, das Denkmal in den Park zurück zu holen. Damit war die Leitung des Laurentianum allerdings gar nicht einverstanden. Darum einigte man sich auf einen Kompromiss: Eine Kopie sollte an dem angestammten Platz vor dem „Alten Lehrerseminar“ aufgestellt werden. Damit waren aber viele Bürger nicht einverstanden: „Das Original gehört in den Park.“ Da das Denkmal im Eigentum der Stadt stand, kam das Thema in den Kulturausschuss und der beschloss, das Overberg-Original solle zurück an seinen alten Platz und das Laurentianum solle eine Kopie bekommen. Die Parlamentarier hatten aber deutlich gemacht, dass der Heimatverein für die Kosten aufkommen müsse. Um den Kostenrahmen für den Heimatverein möglichst niedrig zu halten, wurden gleich mehrere Kopien geplant. Als Partner gewann der Heimatverein zunächst Voltlage, die Geburtsgemeinde Overbergs. Friedhelm Wacker, ein alter Warendorfer, war auch an einer Kopie interessiert für sein Overberg-Kolleg in Münster und Ludger Schulte sorgte dafür, dass die Stadt Ahlen eine Kopie für das Gymnasium St. Ursula bekam.
Mit den meisterhaft gelungenen Kopien des Bildhauers und Restaurators Gathmann aus Roxel wurde aus der Not eine Tugend gemacht und das Andenken an Overberg wird nun in Warendorf, Voltlage, Münster und Ahlen durch das Denkmal lebendig gehalten.
Im Park des „Alten Lehrerseminars“ begannen nun die Vorbereitungen für die Umsetzung des Denkmals. Viele engagierte Bürger stellten ihre Fähigkeiten ehrenamtlich zur Verfügung, was die Kasse des Heimatvereins sehr schonte. Klaus Ring rekonstruierte nach alten Ansichten den Sockel, Lienhard Wesselmann prüfte die Statik und erstellte den Bauantrag für das Bauamt, Kalli Brinkmann stiftete das Betonfundament, das metertief im Boden liegt, die Firmen Carlé und Oertker sorgten für das Aufmauern des Sockels und „Muttken-Heini“ (Heinz Vorwerk) verputzte ihn nach alten Vorbildern. Dann setzte Wolfgang Budde die Sandstein-Krone auf den Sockel und der Alte Laurentianer Paul Meinersmann spendete genügend Geld, damit auf einer Bronzetafel Bernard Overbergs Verdienste skizziert werden können. Als I-Tüpfelchen brachten die Abiturienten von 1971 Dr. Michael Bredenbröker und Ulrich Hoyer die Namenstafel aus schwedischem Granit zurück, die sie damals aus dem Schutthaufen gerettet hatten.
Anfang August 1989 war es dann so weit: Der 2,8 Tonnen schwere Overberg konnte wieder an seinen angestammten Platz gehievt werden. Am Sonntag, den 13.8.1989 wurde die Rückkehr des Overberg-Denkmals an seinen alten Platz im Park des Alten Lehrerseminars vom Heimatverein und den Altstadtfreunden in Anwesenheit des Bürgermeisters und vieler Ratsmitglieder mit den Bürgern Warendorfs, insbesondere mit vielen „Alten Laurentianern“, gebührend gefeiert. In seiner Festrede gab der Heimatvereins-Vorsitzende Rainer A. Krewerth seiner Freude Ausdruck, dass nun das Overberg-Denkmal zum zweiten Male der Warendorfer Bevölkerung übergeben werden konnte, fast auf den Tag genau 100 Jahre nach der feierlichen Enthüllung am 31. Juli 1889.
Jetzt trifft die Schilderung des Seminarlehrers Heinrich Klessing wieder zu: „Auf einem 2,50 m hohen Sockel erhebt sich die ebenso hohe Figur aus Sandstein. Die „Anweisung“ in der Hand derselben deutet auf Overbergs Tätigkeit und schöne Sprüche am Sockel weisen die Lehrer mit seinen Worten auf ihre Pflicht hin“.
Autorin: Mechtild Wolff
Quellen:
Briefe von Bernard Overberg
Wilhelm Münter: Bernard Overberg - Lehrer der Lehrer aus „Kirche und Leben“ vom 7.11.1951
Wilhelm Bootsveld: „Zum Gedenken an Bernhard Overberg „Lehrer der Lehrer“ aus: Rheiner Volksblatt Nr.274 vom 26.11.1983
August Schröder: Bernhard Overberg, der „Lehrer der Lehrer“ Westf. Heimatkalender 1977
Rainer A. Krewerth: Wer war Bernard Overberg? im Kiepenkerl des Heimatvereins Nr. 10
Friedhelm Wacker: Bernard Overberg in Warendorfer Schriften Band 19/20 1990